Sie befinden sich in den Archiven der Kategorie ALS.
17.9.2011 von tono.
Früher habe ich es genossen, mich in dem Moment kurz nach dem Aufwachen noch ein bisschen in den Laken zu räkeln, heute werde ich immer mehr zum „Nestflüchter“ und verlasse das Bett so schnell ich kann! Hat wohl primär damit zu tun, dass mein Bett zu einem Ort mutiert ist, an dem ich Gefahr laufe, von meiner Decke oder dem Kopfkissen erstickt zu werden und zu absoluter Inaktivität verdammt bin! Im Sessel kann ich atmen, kommunizieren, um Hilfe klingeln, mich ablenken, mich und andere beschäftigen. Keine Frage also, wo ich den Großteil meiner Zeit hier zu finden bin.
Aber wie alles, das man übertreibt, sind auch hier die ersten Begleiterscheinungen aufgetreten: die Haut an meinem Hintern wird so langsam dünn. Bis heute hatte ich immer gedacht, Blasen, Schwielen oder Abschürfungen könnte ich mir nur beim Sport einhandeln! Unvergessen der Zustand meiner Füße, nachdem Jens und ich im Eidinghausener Freibad den Fehdehandschuh zweier Kids zum (Barfuß-)Fußball nicht liegen lassen konnten. Anderthalb Stunden später waren die Kids fertig mit der Welt - genau wie unsere Füße! Ich habe lediglich ein Zischen vermisst, als ich sie ins Wasser getaucht habe. So von Blasen und Abschürfungen bedeckt waren sie noch nie. Aber es gab auch niemals zuvor einen solch rekordverdächtigen Ausbruch an Gedankenlosigkeit und Unvernunft. Jetzt habe ich gelernt, dass auch exzessives Sesselsitzen zu Verletzungen führen kann. Derzeit fliehe ich so gegen 8:30 Uhr aus dem Bett; retour geht’s gegen 2:30 Uhr. Macht etwa 18 Stunden „draußen“, abzüglich -über den Daumen- einer Stunde für Toiletten- und Waschgänge. Bleiben erschreckende 17 Stunden!
Da kann die Hinterbacke schonmal schmerzen - vor allem, wenn man keinen Arsch mehr in der Hose hat. Wenn ich mein derzeitiges Gewicht erraten sollte, würde ich näher an 40 als an 50 tippen. Für die Bestatter wird’s beizeiten jedenfalls keine ’schwere’ Aufgabe werden
Jetzt liegt eine bezogene Schaumstoffunterlage unter meinem Hintern und alles ist wieder gut! Das nächste sind meine Schulterblätter…
Geschrieben in ALS | Keine Kommentare »
23.8.2011 von tono.
Ursache für ALS gefunden
Forscher: Reparatur von Eiweißen im Hirn gestört
US-Forscher haben einen gemeinsamen Grund für die verschiedenen Formen der schweren und unheilbaren Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gefunden. Demnach ist die Reparatur von Eiweißen im Gehirn oder Rückenmark von ALS-Patienten gestört. Die Nervenzellen der Erkrankten, darunter der Astrophysiker Stephen Hawking, werden schwer geschädigt. Das Team um Teepu Siddique von der Northwestern Universität (Chicago, USA) berichtet darüber im Fachmagazin „Nature“.
ALS-Patienten leiden an fortschreitenden Muskellähmungen, und können sich im Verlauf der Erkrankung nicht mehr bewegen, sie haben Schwierigkeiten zu schlucken, sprechen oder atmen.
Weltweit sind Schätzungen zufolge 350 000 Menschen davon betroffen, etwa die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb der ersten drei Jahre daran. Es gibt auch eine Form, die eine Art Demenz auslöst. Dabei verlernen die Patienten, einfachste Aufgaben auszuführen und verlieren ihr Sprachverständnis. Nur bis zu zehn Prozent der ALS-Fälle treten familiär gehäuft und somit vererbt auf, der Rest tritt „spontan“ auf.
Sein Fortschritt in der ALS-Forschung öffnet Siddique zufolge „ein ganzes, neues Feld, um eine wirksame Behandlung gegen ALS zu finden“. So könnten Medikamente getestet werden, die diese Art der Eiweißreparatur regulieren oder verbessern, und somit ihre Funktion aufrechterhalten.
Die Störung beim „Protein-Recycling“ führen die Forscher auf das Eiweiß Ubiquilin2 zurück. Dessen Aufgabe sei es, beschädigte oder falsch gefaltete Proteine in motorischen Nervenzellen und Nervenzellen der Großhirnrinde zu „recyceln“. Bei ALS-Patienten arbeite Ubiquilin2 nicht richtig. Dadurch sammle sich das Eiweiß zusammen mit den beschädigten Proteinen in den Nervenzellen an, lagere sich ab und lasse die Nervenzellen untergehen.
Bei Patienten, bei denen ALS gehäuft in der Familie vorkommt, fanden die Forscher auch Mutationen im Ubiquilin2-Gen. Die typischen Ablagerungen fanden sich jedoch auch bei Patienten ohne diese Genveränderung. Für ihre Studien untersuchten die Forscher unter anderem Daten von fünf Generationen einer Familie, in der 19 Familienmitglieder an ALS litten.
Siddique befasst sich seit mehr als 25 Jahren mit der Amyotrophen Lateralsklerose und ist Autor zahlreicher Studien. Die nun erlangten Erkenntnisse könnten nach Auskunft der Forscher auch eine Bedeutung für Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson haben. dpa
Geschrieben in ALS | Keine Kommentare »
30.7.2011 von tono.
In der Tat: er hat eine nervige Stimme, eine nervige Art und ist das Paradebeispiel dafür, was man bei der Auswahl seiner Vertreter in der Werbung alles falsch machen kann. Weitere stimmige Beispiele sind die Unsympathen von „carglass“, die nervigen Mütter, die „Milchschnitte“ für ein Lebensmittel halten, und die Hohlfritten, die uns Synthetikdüfte als „Lufterfrischer“ verkaufen wollen. Die Fernsehwerbung ist so voll davon, wenn man eine weitere Zehntelsekunde darüber nachdenkt, fallem einen noch Tausend weitere Nervtöten ein. Also besser nicht nachdenken, sondern schnell umschalten. Ich bin des Zappens müde und wäre jetzt reif für ‘SKY’ o.ä…
Zurück zu den Ärzten im TV und ‘real life’. Da die Vertrauensbasis zwischen mir und meinem bisherigen Arzt genauso marode geworden war wie sein Zeitempfinden und Selbstverständnis, musste ich mir einen neuen suchen. Ich bin auch fündig geworden: ein engagierter Palliativmediziner, der etwas näher am Thema Hospiz und ’sterbenskrank’ ist. Erste Gespräche verliefen Ergebnis orientiert in angenehmer Atmosphäre und lassen mich hoffen, dass es diesmal hält. Aber mit Partnerschaften habe ich es scheinbar nicht so…
Zur Erstinformation hätte üblicherweise ein Ersgespräch stattgefunden. Damit sich das nicht über Tage hinzieht, haben wir vereinbart, dass ich meinen ‘Status Quo’ in Schriftform für ihn zusammenstelle. Um Fragen zu meinem Befinden gleich für alle mitzubeantworten, veröffentliche ich meinen Statusbericht unten am Ende des Eintrags.
Im Gespräch mit meinem neuen Arzt löste sich auch meine derzeit größte Sorge in Luft auf: ich dachte bisher, dass der Tod durch Atemlähmung sich so darstellt, dass ich lange und intensiv nach Luft schnappe. Tatsächlich ist es aber so, dass die ALS Kranken im Endstadium ihrer Krankheit immer flacher atmen, der Kohlensäureanteil im Blut steigt und der Kranke bewusstlos wird. Aus dieser Bewusstlosigkeit wacht er dann nicht mehr auf. Klingt für mich weitaus angenehmer als nach Luft schnappend zu kämpfen, oder?
Dann nochmal zur Kategorie „Menschen, denen es noch schlechter geht“:
Ich habe schon wieder Leute über den Regen meckern gehört - in großen Teilen Somalias und Kenias ist der Regen seit 3 Jahren ausgeblieben. Die Folgen: Dürre, Ernteausfall, Hungersnot, Kindersterben. Alle 6 Sekunden stirbt aktuell ein Kind am Hunger in Somalia…
Mehr Informationen zum Thema und zu Hilfsmöglichkeiten gibt es hier.
Mein Statusbericht
(nach 3 Jahren Widerstand gegen ALS)
————————-
Mobilität
———–
Stehen kann ich noch kurz, muss aber in der Waage gehalten werden und kann dabei meinen Oberkörper nicht aufrecht halten und muss ihn hängen lassen. Zu Transferzwecken grade noch ausreichend.
Lagerung
————
Immer öfter muss ich nach Luft schnappen, immer mehr Sitz- und Liegepositionen werden für mich zur Qual. Ähnlich wie ein Wal, der an Land von seinem eigenen Gewicht erdrückt wird, ist es jetzt auch bei mir. Am Schlimmsten für mich ist die Rückenlage. Nach kurzer Zeit besteht die Gefahr des Verschluckens; Atemnot tritt auf!
Sitzen geht auf Stühlen ohne Kopfstütze mit starrer Rückenlehne auch nur gebeugt, sonst besteht die Gefahr, dass mein Kopf nach hinten fällt. Am Entspannendsten ist eine leicht nach hinten geneigte Lehne wie im Rollstuhl oder TV-Sessel.
Liegen ist länger ausschließlich in stabiler Seitenlage links möglich.
Essen und Trinken
————————–
Mein Magen ist auch geschrumpft. Ich nehme nur noch 2 Mahlzeiten pro Tag ein, morgens und abends. Wobei die Mengen mittlerweile im Gegensatz zu früher ein homöopathisches Stadium erreicht haben; ich bin sehr viel früher satt.
Trinken geht nur mit einem Trinkhalm, und das sehr mühsam! Dabei muss ich meinen Mund in den richtigen Abstand zur Tasse und zum Strohalm hinbekommen. Dafür hängt mein Kopf vor sich hin. Wenn die Tasse zu hoch oder zu niedrig gehalten wird, oder nicht ruhig in einer Position gehalten wird, schaffe ich den Lippenschluss um den Trinkhalm nicht. Eine halbe Tasse Flüssigkeit reicht mir jeweils.
Das Schlucken geht noch gut, wenn Speisen in homogener Konsistenz angereicht werden. Sonst wird es schwierig, ohne funktionierende Zunge Essen im Mund zu bewegen. Dazu kommt das zunehmende Unvermögen, einmal kurz und kräftig abzuhusten, wenn ich mich beim Essen verschluckt habe. So kann es Stunden mit Gehüstel dauern, bis meine Luftröhre wieder frei ist und ich wieder einwandfrei Luft bekomme!
Wenn ich mich verschluckt habe, bekomme ich nur mit aufgerichtetem Oberkörper wieder Luft - keinesfalls aber zurückgelehnt oder vornüber gebeugt!
Medizinisches
——————-
Dekubitus ist im Augenblick kein Thema, eine Stelle an der linken Ferse ist wieder verschwunden. Die Gefahr besteht aber bei lange belasteten Stellen wie meinen Schulterblättern (im Sessel tagsüber) und meiner linken Schulter (im Bett nachts).
Sonst, abseits der ALS-Symptome, gibt es keinen medizinischen Befund, nicht zuletzt auch dank der Mithilfe von Krankengymnastik (bisher: Montag und Freitag) und Ergotherapie (Dienstag und Donnerstag). Die allgemeine Sensorik ist gesteigert.
Es liegt eine Patienverfügung sowie eine Betreuungsverfügung vor.
Und hier noch ein Nachtrag zum Thema „dümmer geht’s immer“: es gibt in Deutschland ‘Lachtherapeuten’ - ernsthaft,
Nürnberg kaserniert jetzt, einmalig in Deutschland, Delfine in einem Showbecken ein und vertritt allen Ernstes die Ansicht, in der freien Wildbahn würden Delfine ihren Standort auch nicht verändern, so lange sie dort ausreichend Nahrung vorfänden!
Dazu kann ich aus eigener Erfahrung sagen: das stimmt so definitiv nicht! Dafür muss man nicht mal durch eine Krankheit oder einen Unfall gelähmt sein - eine kurze Umfrage unter den Insassen eines beliebigen Gefängnis ist da völlig ausreichend…
Geschrieben in ALS | 2 Kommentare »
2.4.2011 von tono.
Heute bricht die Unruhe wieder durch! Kommt ziemlich sicher von der Sonne. Da mein Lieblings-Wasserskilift die inoffizielle Eröffnung (offiziell: 1. Mai) spätestens am 1. April eines Jahres vornimmt, steht für mich außer Frage, was ich mit einem solchen Sonnenwochenende veranstaltet hätte - auch wenn die Wassertemperaturen sich gerade erst anschicken, zweistellig zu werden! Ich weiß noch, dass wir einmal die Saison schon im März begonnen haben, da trieben noch vereinzelt Eisschollen auf der Wasseroberfläche. Reinfallen verboten! Aber so ist das eben mit der Ungeduld…
Das ist im Übrigen auch die Crux mit meiner Krankheit, der ALS: sie wirkt so langsam! Auf der Pro ALS Seite steht die Laut- und Schmerzlosigkeit, mit der sie arbeitet. Auf der Contra-Seite gibt es dafür die unbarmherzige Konsequenz - sowie die quälend langsame Geschwindigkeit.
Man stirbt nur einmal. Wohl wahr - aber warum denn gleich jahrelang?! Ich fände den Verlauf der Krankheit in Wochen statt Jahren viel ‘humaner’. Gegnern meines Wunsches möchte ich entgegenhalten: „so viel Krankheit braucht kein Mensch!“
Ehrlich gesagt, nervt einen die Langeweile so, dass man von einer Brücke springen würde - wenn man es denn noch könnte! So aber tritt die Langeweile an die Stelle echter Lebensinhalte und -Möglichkeiten. Anfangs bringen die neuen, ungewollten Lebensänderungen genügend Abwechslung und Aufregung mit, später wird die Pflegesituation auch zum Alltag. Inklusive neuer Freizeitaktivitäten wie Krankengymnastik, Logopädie, Ergo- und Physiotherapie. ALS sucks!
Schönes, sonniges Wochenende wünsche ich allen, und ein heiteres: Superkallifragilistischexpialligetisch
Geschrieben in ALS | 1 Kommentar »
26.2.2011 von tono.
Vorab möchte ich festhalten, dass ich natürlich nicht für alle ALS-Kranken dieser Welt sprechen kann. Doch ich denke, dass Vieles, was hier aufgeführt wird, für die meisten zutrifft. Die jenigen Kranken, über die ich gelesen oder von denen ich sonst gehört habe, sind auf jeden Fall ähnlich selbstbestimmt (oder heißt es „renitent“?) wie ich. Und alle anderen dürfen gerne Ergänzungen und/oder Änderungen einreichen.
Zunächst einmal gilt es, ein paar Begrifflichkeiten zu klären. ALS, die „Amyotrophe LateralSklerose“ ist eine perfide, genial ausgeklügelte Krankheit, auch als MND, „Moto Neurone Disease“ bekannt. Zu trickreich und ausgeklügelt, als dass sie von Menschenhand stammen könnte, so wie man den Ursprung des HIV Virus in einem biologischen Waffenforschungslabor vermutet. Bei der ALS wird die Steuerung der Muskeln (Ausnahmen: Herz-, Augen- und Schließmuskel) durch zunehmende Deaktivierung der dafür zuständigen Neuronen immer stärker eingeschränkt bis sie alle zum Erliegen kommen, Atmung inklusive. Die 5 Sinne (bis auf das Sprechvermögen) bleiben genauso unberührt wie die kognitiven Fähigkeiten. Bei mir wurden die Sinne sogar geschärft, die Empfindlichkeit gegenüber lauten Geräuschen, starker Helligkeit und Gerüchen wurde gesteigert! Die Erkrankten leiden unter zunehmendem Muskelschwund, dem Verlust der Sprach- und Handlungsfähigkeit. Behandlungen oder Medikamente sind weder empfohlen noch notwendig, eine Heilung ausgeschlossen! Kurz gesagt: Input ok, Output nicht!
Sehen wir uns mal die Beteiligten an: da sind zuerst die an der ALS Erkrankten. Sie und ihre Angehörigen bilden die einzigen beiden Gruppen, die nicht freiwillig in diesen Prozess involviert sind. Raus aus dem normalen Leben gerissen und auf den Weg zum Pflegefall gesetzt. Das ist in hohem Maß frustrierend und macht wütend. Der Kranke wird kontinuierlich in einem unaufhaltsamen Prozess seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten beraubt. Er ist zunehmend auf Hilfe verschiedenster Art angewiesen und wird somit gezwungen, Fremden Zugang zu bisher privaten Bereichen - sowohl räumlicher als auch körperlicher Art - gewähren zu müssen. Wegen dieser unfreiwillig getroffenen Entscheidung gilt Hilfe primär erstmal als „Feind“.
Damit wären wir bei den Profis, der „Waschlappenfraktion“, bestehend aus Alten- und Krankenpflegern, Ärzten und Schwestern, Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und Krankengymnasten. Dann gibt es noch die Gruppe der Praktikanten, Schüler und Auszubildenden, und die der freiwilligen und ehrenamtlichen Helfer. Zu guter Letzt sind da noch die, die ohne Warnung in die „Beziehung“ zu ALS-Kranken gerutscht sind: Angehörige und Freunde.
Nun, da die Teilnehmer bekannt sind, zu dem Spielfeld und einigen Grundregeln. Wenn der Kranke es sich leisten kann, findet die letzte Spielzeit bei ihm zu Hause, unter Einbindung externer Hilfe, statt. Er wird versuchen, gewohnte Abläufe so lange beizubehalten, wie es geht. Wenn nicht, bleiben Krankenpflegeheime, Hospize oder spezielle Einrichtungen. Hier ist der Kranke (aus Pflegesicht) am Besten aufgehoben, aber das spielt emotional für ihn keine Rolle - er wird die neue Lokalität hassen! Egal, was auch immer Sie versuchen. Also lassen Sie es besser gleich sein, und versuchen Sie keinesfalls ein „Ersatzzuhause“ zu erstellen. Nochmal zu den Gründen für den Umzug: unfreiwillig, erzwungen durch eine tödliche Krankheit. Aus demselben Grund unterlassen Sie bitte auch alle Versuche, der Freund des Kranken zu werden. Das klappt nur gelegentlich, und wenn, dann nur im Lauf der Zeit. Damit das funktioniert, ein paar grundsätzliche Verfahrensweisen und Kommunikationshilfen:
Rücken Sie dem Kranken nicht „auf die Pelle“. Sie brauchen Ihren Kopf nicht dicht vor sein Gesicht zu bringen, um gehört oder gesehen zu werden, es sei denn, Sie möchten ihn küssen. Auch eine Erhöhung der Lautstärke oder ständiges Wiederholen hilft nicht zu einem guten Verständnis, sondern nervt lediglich den Kranken!
„Nein“ bedeutet „nein“, egal wie oft Sie eine Frage abwandeln und/oder wiederholen. Schweigen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung, sondern meistens: nichts.
Stellen Sie einfache, klare und unmissverständlich formulierte Fragen. Vermeiden Sie rethorische Fragen und Gemeinplätze wie „ich darf mal…“ oder „ich nehme das weg, ja?“ Letzteres weist kaum Merkmale einer Fragestellung auf. Eigentlich selbstverständlich, aber dennoch erwähnenswert, da es vorkommt: vermeiden Sie es, an den Kranken gerichtete Fragen selbst zu beantworten, sondern haben Sie etwas Geduld. Im besten Fall wird der Kranke lediglich sauer vor ohnmächtiger Wut, bei mir führt es dazu, dass ich die Kommunikation zur Gänze einstelle.
Warten Sie auf eine Antwort, ehe Sie die nächste Frage stellen, auch wenn es länger dauert.
Keinesfalls sollten Sie versuchen, den Kranken zu tätscheln oder streicheln. Bei mir löst das den Impuls aus, zu beißen…
Versuchen Sie, Ruhe zu vermitteln, Sätze wie „eigentlich bin ich etwas im Stress, aber versuchen wir mal…“ sind für erfolgreiches Arbeiten eher kontraproduktiv.
Jetzt noch zu ein paar Besonderheiten ALS-Kranker, die wahrscheinlich nur mich betreffen. Mir Getränke anzureichen, ist genauso einfach wie das Auftanken einer F17 in der Luft. Einmal angedockt, muss der Pilot den Abstand zum Tankflugzeug gleich halten. Lässt er den Abstand zu groß werden, reißt die Verbindung ab. Fliegt er zu nah ran, beschädigt er die Tankvorrichtung. Genauso verhält es sich bei mir mit dem (Still-)Halten von Tasse und Strohalm.
Da ich manchmal Stunden in meinem Fernsehsessel verbringe, ist für mich eine ausgewogene Sitzposition sowie der faltenfreie Sitz meiner Kleidung so wichtig, dass es nicht informierten Beobachtern wie eine kleine Psychose vorkommen muss! Dem ist nicht so - ich habe bloß eine Aversion gegen unnötige Schmerzen, Dekubitus und andere „Lagerschäden.“ Ein Hinweis zum Lagern: kippe ich permanent zu einer Seite, dann kann man die Sitzposition mittels unterstützender Kissen fixieren - oder (besser für mich) man sucht die entspannte Mitte…
Letztlich wird jeder am Erfolg gemessen. Mir persönlich ist es beispielsweise recht egal, ob man mir eine Jacke wie einen Pullover anzieht oder nicht - Hauptsache, sie passt und der Vorgang wurde schmerzfrei und mit vertretbarem Zeitaufwand absolviert!
Und noch ein letzter Tipp: Ihre Schicht dauert maximal 8 Stunden, danach kehren Sie in Ihr Privatleben zurück. Bitte vermeiden Sie während Ihres „Martyriums“ Gestöhne, Gejammere und - was mich betrifft - Smalltalk vor der ersten Tasse Kaffee. Konzentrieren Sie sich, vergegenwärtigen Sie sich, wo rechts und links ist und treten Sie selbstbewusst und mit eigener Meinung auf - dann sind Sie leichter auszurechnen. Freundlicher ausgedrückt: dann weiß der Kranke/Gast/Patient, was er an Ihnen hat.
Geschrieben in ALS | 2 Kommentare »
4.9.2010 von tono.
Ich weiß nicht, was ich schreiben soll; die vergangene Woche war ereignisarm wie so oft. Mein Nacken, mein Hals und meine Beine werden schwächer - der ‘ALS’ fällt auch nichts Neues mehr ein. Aber was stellte ich im letzten Beitrag fest: wahrscheinlich wünsche ich den gegenwärtigen Zustand in ein paar Wochen sehnlichst herbei. Spätestens dann, wenn ich weder Beine noch Kopf bewegen kann…
Um den Menschen, die zwar Reis mögen und gesund finden, aber die Zubereitung für ein Buch mit sieben Siegeln halten, zu helfen, gebe ich hier mal einen Tipp zum Besten, aus der Kategorie „Tipps, die die Welt nicht braucht“, nämlich:
Reiskochen für Anfänger
———————————-
Reiskochen kann so einfach sein. Aufkochen, quellen lassen - fertig.
Aber warum einfach, wenn’s auch umständlich geht…? Ich sehe in der Küche oft Hobbyköche beim hektischen Hantieren mit Kochbeuteln, Wasser zu- oder abgießen, und Reis umschütten. So viel unnötiger Stress für einen so leichten und an sich stressfreien Vorgang. Das Ergebnis ist selten lockerer, körniger Reis, wie es die Werbung verspricht, sondern oft nasser, zu harter oder weicher, und klebriger Reis.
Dabei könnte alles so einfach sein:
Reis kaufen, Langkorn oder Bruchreis (ist günstiger), Duft- oder Jasmin, Basmati oder Thai Reis.
Alles außer Rundkornreis (ist z.B. für Risotto und Sushi geeignet, weil er weich und klebrig ist),
Parboiled Reis (ist vorbehandelt),
Wild- oder Naturreis (gehört nicht zu den Reissorten und benötigt sehr lange Garzeiten),
vorbehandelten, gewürzten oder vorgewaschenen Reis.
Ich kaufe Thai Reis Säckeweise im Asialaden meines Vertrauens, riecht gut, schmeckt lecker und ist recht günstig.
Zubereitung:
———————————
Topf nehmen, 2 Tassen Reis (oder mehr oder weniger, spielt für die allgemeine Verfahrensweise keine Rolle), hinein geben und dann mit Wasser aufgießen. Dabei schütten Sie so lange Wasser hinzu, bis die Höhe des Reis im Topf doppelt erreicht ist.
Beispiel: füllt der Reis den Topf 2 Fingerbreit hoch, füllen Sie Wasser auf, bis es knapp 4 Fingerbreit hoch im Topf steht.
Dann erhitzen Sie den Topf auf der höchsten Stufe, lassen Sie den Reis kurz kochen, kippen Sie den Deckel (oder nehmen Sie ihn kurzzeitig ganz ab), damit der Reis nicht überkocht. Dann drehen Sie die Leistung der Kochplatte auf 0 herunter, setzen Sie den Deckel wieder auf und vergessen Sie den Reis.
Die Restwärme der Kochplatte reicht meist, um den Reis in etwa 15-20 Minuten fertig zu garen. Sie erkennen, dass er fertig ist, wenn das Wasser weg ist. Falls die Restwärme mal nicht ausreicht (weil Sie z.B. eine Riesenmenge kochen), geben Sie noch 5 Minuten auf kleiner Stufe dazu.
Vor dem Servieren zum Auflockern einmal umrühren, fertig. Wenn Sie den Dreh mal raushaben, beschränkt sich der Aufwand für das Reiskochen darauf, Wasser und Reis in einen Topf zu füllen und den Regler der Kochstelle an- und wieder auszuschalten.
Reis braucht weder gewaschen noch geschält zu werden - im Gegensatz zu Kartoffeln. Auch die Lagerung ist unproblematisch: trocken überdauert Reis jede Kartoffel um Monate und steht immer griffbereit zur Verfügung.
PS: Im Gegensatz zur landläufigen Meinung mag ich Kartoffeln sehr wohl: als Pommes, Gratin, Pell- und Bratkartoffeln (sehr knusprig, bitte), Reibekuchen, frittierte Kartoffelecken (amerikanische Art), Folien- und Pellkartoffeln (z.B. mit Heringsdipp), Herzoginenkartoffeln, Kartoffelsalat usw. usw.
„Normale“, mehlig kochende Kartoffeln (mit Soße), Kartoffelbrei u.ä. finde ich dagegen bah!
Geschrieben in ALS, Allgemeines | 3 Kommentare »
28.8.2010 von tono.
Wenn ich daran denke, wie verzweifelt ich bei meinem „Einzug“ hier gewesen bin, muss ich grinsen. Ich war so konzentriert darauf, aufzulisten, was ich alles nicht mehr konnte, so fixiert auf die Einschränkungen, die Folgen meiner Krankheit, dass ich ihr einen viel größeren Anteil meines Lebens zugestand als richtig gewesen wäre. Natürlich wäre das eine Menge gewesen, aber mir erschien es wie fast Alles.
Heute wünschte ich mir, so schwach und eingeschränkt zu sein wie damals. Mann, gäbe das eine Party! Ich würde grillen, kochen, dafür einkaufen und würde dabei noch singen und tanzen. Das, was ich dann noch könnte, wäre nämlich tausend Mal mehr als jetzt. Damals dachte ich, es wäre gar nichts mehr, aber heute erscheint mir der Zustand extrem verlockend. Möglichkeiten über Möglichkeiten! Ist eben wirklich nur eine Frage des Standpunktes, von dem aus man Dinge betrachtet. Im direkten Vergleich mit dem, was ich vorher zu leisten imstande war, war das bestimmt auch zutreffend. Jetzt, von hier, sieht das schon etwas anders aus.
Heute kann ich nichts mehr, womit sich groß etwas anfangen ließe. Programmgemäß greift sich die ‘ALS’ meine letzten verbliebenen Muskeln. Derzeit knabbert sie an meinen Nackenmuskeln und den noch verbliebenen Beinmuskeln. Für mich lässt sich das recht gut realisieren, denn die wenigen Bewegungen, die ich noch ausführe, sind seit Monaten überwiegend dieselben. Vor allem bei der Krankengymnastik fällt schnell auf, wenn wieder ein Teil meines Körpers aufhört, sich durch eigene Muskelkraft bewegen zu lassen.
Deswegen hätte ich es begrüßt, wenn mich zu Beginn meiner Krankheit mal jemand zur Seite genommen und kräftig in den Hintern getreten hätte. Anschließend dann eine Schocktherapie, in deren Verlauf mir mein heutiger - und zukünftiger - Zustand ganz klar und deutlich vor Augen geführt würde. Gerne auch drastisch, mit Bildern, Filmen oder Besuchen bei anderen Kranken. Alles eben, womit man einem Sterbenskranken klarmachen kann, dass er im Vergleich zu anderen Kranken - oder sich selbst in einigen Monaten - noch ziemlich gut dran ist. Aber leider beschränkt sich die (eigene) Wahrnehmung und Sichtweise zu sehr auf die Verluste…
Apropos Verluste: durch den Ausfall immer mehr meiner Nacken- und Halsmuskeln und auch der Lippen fällt mir das Rauchen immer schwerer, ich habe meinen Konsum deshalb in etwa halbiert. „Nicht schlimm“, höre ich Mediziner und militante Nichtraucher unisono sagen. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass ich vorher 4-6 Zigarretten geraucht habe, wird klar, dass wir von homöopathischen Dosen reden…
PS: Das Essen wird auch schwieriger, finde ich aber bei Weitem nicht so tragisch…
In diesem Sinn, schönes Wochenende. Und falls es dauernd regnen sollte: macht es Euch zuhause schön gemütlich. Ich gehe dieses Wochenende auch nicht raus…
Geschrieben in ALS | 2 Kommentare »
12.8.2010 von tono.
Mein Sprachcomputer
Schon sehr viel mehr als ein halbes Jahr im Einsatz, wird es jetzt Zeit für ein Fazit.
Generell möchte ich vorab schicken, dass ich mich mit dem Gerät arrangiert habe und es jetzt sehr intensiv nutze, bis in die letzten Module hinein. Mittlerweile ist es eine unverzichtbare Kommunikationshilfe für mich geworden, ohne die vieles für mich nicht möglich wäre. Ich versuche, das Leistungspotenzial des Geräts völlig auszuschöpfen. Da kommt es mir entgegen, dass ich beruflich schon viel Erfahrung mit speziellen (Branchen-) Anwendungen gesammelt habe. Von daher weiß ich, dass es sich hier um Meckern auf hohem Niveau handelt.
“Den Fortschritt verdanken wir den Nörglern. Zufriedene Menschen mögen keine Veränderungen.” (Herbert George Wells, brit. Schriftsteller, 1866-1946)
Hersteller: „mytobii“, Schweden
www.mytobi.com
Händler: TFB, Technik für Behinderte, Hannover
www.tfb-team.de
Name/Typ: „P10“
Bauart: Kompakt, mit Touchscreen, inkl. fahrbarer Halterung zum Einsatz innerhalb von geschlossenen Räumen an Stühlen oder über Betten
Technische Daten: Standard ATX Bauweise, 1,5 GHz Celeron CPU, 1GB RAM, 80GB Festplatte, integrierte Grafikkarte und Sound, 15“ Touchscreen Monitor, 2 USB Anschlüsse, im Rahmen verbaute Infrarot Cameras.
Betriebssystem: Microsoft Windows XP Professional, SP3.
Die Kommunikationssoftware „mytobii“ und die Internetverbindung und -Nutzung wurde von TfB vor Ort noch in 2 Anläufen eingerichtet. Ich benutze für die Internetverbindung einen eigenen UMTS USB-Stick und eine Flatrate von Simplydata, HDSCPA, 7,2MBit/s, max. monatliches Transfervolumen 5GB. Vor einiger Zeit kam noch die Umfeldsteuerung zum Einsatz, es wurden Infrarotmodule für die Fernbedienung des Fernsehers und für ein Klingelsystem nachgerüstet. Jetzt bediene ich TV und DVD und mein Rufsystem damit, schreibe eMails und SMS, surfe im Internet, höre Musik und teile mich meiner Umgebung mit.
Für Nicht-Computerprofis: Hardware auf dem Stand von 2006, Wert mit Betriebssystem weniger als 2.500,00 Euro. Verkaufspreis: ab 15.900,00 Euro.
Reklamationen, Fehler und Mängel:
———————————————–
Rechner startet oft nicht und der Bildschirm bleibt schwarz.
Temporäre Abhilfe durch Ziehen des Netzsteckers.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Fehler in der „mytobii“ Software, beim Start der Software erscheint eine Fehlermeldung, die auf eine beschädigte Datei „settings.xml“ hinweist und das Programm startet nicht.
Temporäre Abhilfe nur durch Techniker, es muss wahlweise eine neue Datei erstellt oder eingespielt werden oder aus einer Datensicherung wieder hergestellt werden.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Bei der Nutzung des Internetmoduls werden Dialogboxen oder Fenster eingeblendet und verdecken die Bedienelemente.
Temporäre Abhilfe durch Bedienung des Touchscreens mit dem Finger oder dem Stift.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Beim Wechsel aus anderen Anwendungen zurück zur Sprachsoftware „MindExpress“ friert der Mauszeiger über einer Trennlinie ein und reagiert nicht mehr auf Augenbewegungen.
Temporäre Abhilfe durch Bedienung des Touchscreens mit dem Finger oder dem Stift.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Unfähigkeit des Mediaplayers, einige weit verbreitete Multimediadateien wiederzugeben wie MPEG, XVID und DIVX Videos.
Abhilfe durch eigene Installation der dazugehörenden Codecs.
Unfähigkeit des Emailprogramms, HTML-formatierte Emails darzustellen, sowie einen Fehler beim Versenden von Emails mit Anhängen, der dazu führt, dass keine Anhänge mitgesendet werden.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Fehlende Sonderzeichen wie z.B. Gänsefüßchen, Apostrophe oder andere.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Brummender, schnarrender, sehr laut und unruhig laufender Gerätelüfter.
Abhilfe nur durch Hersteller möglich, bzw. erlaubt/gewünscht, also keine.
Kein Antivirenschutz im System.
Abhilfe durch die eigene Installation und Einrichtung der AVG Antivirensoftware.
Kein PDF-Betrachter, Packsoftware oder PDF-Drucker eingerichtet.
Abhilfe durch eigene Nachinstallation.
Fehlen einer Datensicherungsautomatik und einer ERP (Emergency Recovery Procedure).
Abhilfe durch eigene Einrichtung einer Datensicherungsautomatik und eines Imaging-Programms mit eigenem Minibetriebssystem.
———————————————–
Grundsätzlich wären viele Mängel schon längst aus der Welt geschafft worden, gäbe es da nicht räumliche und logistische Diskrepanzen. Ich wohne in Bielefeld, der Händler TFB residiert in Hannover und der Hersteller mytobii irgendwo in den Wäldern Schwedens. Dazu kommen noch die seltsamen Abhängigkeiten; TFB sieht sich außerstande, das Gerät zu Reparaturzwecken zu öffnen und ist gezwungen(?), es nach Schweden zu versenden. Kenne ich von Volvo und Ikea anders. Ich habe schonmal für eine schwedische Firma gearbeitet - auch die waren irgendwie anders - aber bei Weitem nicht so Kundenunfreundlich…
Apropos Ikea: einer ähnlichen Logik und „Ordnung“ folgt auch mytobii beim Design der Software und der Bedienung - kunterbunt, unaufgeräumt und unlogisch. Für Nicht-Saunagänger ähnlich aufgeräumt anmutend wie Pipilotta Viktualias Ephraims Tochter ihr Haus. Von „selbsterklärend“, „Bedienerfreundlich“ und „einfach“ so weit entfernt wie Pipi vom Friseur. Usability, Stringenz oder elegantes Design: unbekannt. Um einen Satz formulieren zu können, muss ich oft zwischen verschiedenen Oberbegriffen hin- und herwechseln. Dabei wird das Gedächtnis gleich mittrainiert, denn ein Rucksack findet sich z.B. unter dem Oberbegriff „Unterwäsche“, einen Trabant findet man unter „Freizeit“, dafür einen Panzer unter „Fahrzeuge“ und eine Bombe(!) unter „Werkzeug.“ Auch findet man so nützliche Wörter wie „Planwagen“, und einige lustige Schreibfehler… Eine Worterkennung mit Vorschlägen begonnener Wörter oder Sätze wie bei Microsoft „Word“ oder wie in jedem modernen Handy fehlt auch leider, genau wie der vollständige Zeichensatz einer deutschen Tastatur. Grundsätzlich sieht man der Software den Ausbau und die Entwicklung sehr schnell an und sowohl die Oberfläche wie auch die Bedienelemente schreien nach einer Komplettrenovierung.
Sind aber alles behebbare Schwächen oder Fehler, lediglich der Glaube daran, dass ich noch Veränderungen miterleben werde, schwindet langsam. Beispielsweise der lärmende defekte Lüfter wartet jetzt schon seit über einem halben Jahr darauf, ausgetauscht zu werden - und nichts passiert! Er wird jeden Tag lauter und nähert sich dem Zeitpunkt seines Ablebens hörbar mit Riesenschritten. Als Folgeschäden sind der Hitzetod des Prozessors zu erwarten und der vollständige Ausfall meines Systems. Teuer, nervig und unnötig, weil vermeidbar. TFB erklärt, den Lüfter nicht selber austauschen zu dürfen und verweist auf den Hersteller mytobii in Schweden, der die Einsendung des Gerätes verlangt. Womit ich wenigstens 2 Wochen ohne Kommunikationshilfe wäre - untragbar und unzumutbar für mich. Zumal jeder PC Laden in Bielefeld die Reparatur für weniger als 50 Euro in einer halben Stunde auch durchführen könnte, sogar vor Ort.
Der kleine Fehler (settings.xml) mit der großen Wirkung ist auch schon fast ein Jahr, direkt nach seinem Auftreten, durch mich bekannt gemacht worden, ohne dass Abhilfe oder Vorkehrungen zu seiner Vermeidung getroffen worden wären. Letztlich habe ich selber eine Strategie entwickelt und umgesetzt, die mich schon mehrfach vor dem tagelangen Ausfall meines Geräts bewahrt hat.
Vor einigen Monaten noch habe ich das System positiv bewertet und eine Weiterempfehlung ausgesprochen. Davon würde ich jetzt Abstand nehmen und empfehlen, ein anderes System anzuschaffen. Wichtiges Kriterium sollte ein schneller und naher Supportdienstleister sein.
Wenn Sie also planen, ein Kommunikationshilfsmittel anzuschaffen und in Hannover oder Schweden wohnen, dann kann ich auch zu mytobii Systemen raten; die Augensteuerung funktioniert - sogar von der Seite (mit dem Gerät vor der Nase konnte ich weder fern-, noch eventuell gegenübersitzende Gesprächspartner sehen) recht präzise und die Sprachausgabe ist überwiegend gut zu verstehen.
Geschrieben in ALS | Keine Kommentare »
23.7.2010 von tono.
Heute ist es auf den Tag genau 18 Monate her, dass ich ins Hospiz „Haus Zuversicht“ eingezogen bin. Niemand, erst recht nicht ich (oder der Arzt, der meine Diagnose erstellt hat), hätte gedacht, dass es bei mir so lange dauert mit dem Ableben. Im Internet bin ich auf eine Seite gestoßen, die schon überholt war. Diagnose ‘ALS’ in 2009, knappe 8 Monate danach Exitus. Beneidenswert.
Für neu Mitlesende: Mich hat eine sehr selten auftretende, perfide verlaufende, tödliche Krankheit erwischt. Bis zum Erhalt meiner Diagnose hatte ich davon noch nie gehört: „ALS“, Amyotrophe Lateral Sklerose.
Eine kurze, nicht-qualifizierte und subjektive Info dazu: garantiert tödlich, nicht ansteckend, unsichtbar, unheilbar und Ursachen unbekannt. Stell’ Dir vor, bei Deinem Auto unterbricht jemand die Verbindung zur Lichtmaschine. Erstmal merkst Du gar nichts und fährst mit Batteriestrom weiter. Bis die Reserven erschöpft sind und nichts mehr geht. Bei ALS ist’s so ähnlich: die Kommunikation zu den Muskeln wird unterbrochen, eine gezielte und erfolgreiche Ansteuerung wird zunehmend unmöglich, bis gar keine Bewegungen mehr möglich sind, bis auf den Herzmuskel und die der Augen. Solange macht man weiter, als wäre nichts - bis die ersten Ausfälle sich nachdrücklich bemerkbar machen. Bei mir war es das linke Bein, der linke Arm und die Aussprache (die Zungenmuskeln werden auch nicht verschont!).
Jedenfalls hatte ich in den vergangenen 2 Jahren reichlich Gelegenheit, die „andere Seite“ kennenzulernen. In Zeitraffer lernte ich verschiedene Hilfsmittel, hilfreiche und freundliche Menschen, Dienstleistungen sowie die unvermeidlich dazugehörende Bürokratie kennen.
Ich war völlig verzweifelt als ich herkam. Jetzt kann ich nur müde drüber lächeln. Nicht, dass es hier besser geworden wäre und ich lieber hier wäre als vor anderthalb Jahren. Oder dass es mir besser ginge. Nein, beileibe nicht! Mir fehlt (u.a.) Dolby Surround Sound zu Filmen. Aber irgendwie ist es nicht mehr so einschneidend, es bleibt an der Oberfläche. Vielleicht habe ich jetzt ein dickeres Fell, aber in jedem Fall ist alles stark relativ und hängt extrem vom Standpunkt ab. Wäre ich heute so klapprig und schwach wie bei meinem „Einzug“, würde ich tanzenderweise eine Grillparty organisieren, dafür einkaufen, Cocktails mixen und grillen. Aber leider hat die Krankheit bei mir genau den prognostizierten Verlauf genommen: Muskelkraft nahe null, ich kann kaum noch stehen, mich nicht mehr aufrichten oder den Kopf gerade halten. Wenn ich esse, erinnern meine Kopfbewegungen an Krokodile; die können auch nicht vernünftig kauen.
Gestern bei der Krankengymnastik musste meine Krankengymnastin erneut stärker unterstützen. Lag das Verhältnis „bewegen-zu-bewegt-werden“ zu Beginn noch bei respektablen 40:60, sind wir mittlerweile bei 5:95…
Ich glaube, der Trick besteht darin, sich auf das zu konzentrieren, was man (noch) kann und daraus Kraft zu schöpfen, statt auf das, was man nicht (mehr) kann. Es ist definitiv alles eine Frage der Sichtweise und der Einstellung! Vor anderthalb Jahren hielt ich mich für klapprig, hilfsbedürftig und behindert, das Glas war halbleer, nicht halbvoll.
Heute wünschte ich mir, so „schwach“ zu sein - eben alles eine Frage des Standpunkts…
Einen sehr guten TV-Spot zu ALS („motor neurone disease“) habe ich auf den Seiten eines Leidensgenossen gesehen. Etwas drastisch, FSK12 und „shocking“, aber wie sagt man doch so treffend „ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“. Ich mag ihn jedenfalls, erklärt er doch besser als jeder Leidensbericht die Gefühle im Verlauf der Mutation hin zum Pflegefall…
Geschrieben in ALS | 1 Kommentar »
29.6.2010 von tono.
Kommunikation, eine unendliche Geschichte… Heute morgen ist es wieder passiert:
Eine Pflegekraft betrat mein Zimmer, um mich zu erlösen. Mir wurde es nämlich mittlerweile arg warm unter meiner Bettdecke. Während ich noch mit geschlossenen Augen darüber nachdachte, ob sie angeklopft hatte und ob ich ein „Guten Morgen“ überhört hatte oder ob es gar nicht gesagt wurde, kam schon die erste Frage.
Vermutlich wegen meiner geschlossenen Augen lautete sie „…noch keine Lust?“ Was ich als „Haben Sie noch keine Lust, aufzustehen?“ interpretierte und nach kurzem Nachdenken mit einem „nein“ beantwortete. Sollte heißen: „nein, ich habe nicht noch keine Lust, aufzustehen“, oder einfacher: „ja, ich möchte aufstehen“. Einfach, klar und logisch, oder? Ich wusste schon, was passieren würde, während ich noch antwortete. Und so war es dann auch: meine Antwort wurde fehlinterpretiert, die Pflegekraft verließ mein Zimmer und spendierte mir eine weitere halbe Stunde Sauna. Zeit, über Kommunikationshürden im Allgemeinen und die nächste anstehende Prüfung im Besonderen nachzudenken. Trotz der - durchaus bestehenden - Gefahr, erneut fehlinterpretiert zu werden und den Tag im Bett verbringen zu müssen, beschloss ich, wieder korrekt zu antworten. Alles andere würde auch keinen Sinn machen, hieße das doch, mich auf Ratespiele einzulassen, zu erraten, welche Antwort in welcher Form mein Gegenüber erwartete. Dafür ist es definitiv zu heiß!
Naja, ich schreibe - also sitze ich und alles ist gut. Außer der immer noch existierenden ALS und der hohen Temperatur. Samstag soll es im Übrigen Rekord verdächtig heiß werden. Also, immer schön im Schatten bleiben, ausreichend nichtalkoholische Flüssigkeiten trinken und die Kommunikation einfach und klar gestalten…
Geschrieben in ALS | 1 Kommentar »